Mittwoch, 20. Februar 2019

Stadt revidiert Kündigung des Saals im Rolf-Engelbrecht-Haus - wir legen die Hintergründe dar

Veranstaltung mit Dr. Bartsch (Die Linke) findet doch statt

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Weinheim, 28. April 2014. (red) Die Stadt Weinheim vermietet Mitte März einen Raum an Die Linke für eine politische Veranstaltung heute Abend. Vor fünf Tagen kündigt die Stadt mit der Begründung, wegen der Neutralitätspflicht sei eine solche Veranstaltung vier Wochen vor der Wahl unzulässig. Heute erklärt der Erste Bürgermeister Dr. Torsten Fetzner, dass die Veranstaltung doch stattfinden kann. Was wie ein verspäteter Aprilscherz daherkommt, kann einfach nur ein Schildbürgerstreich sein – peinlich ist der Vorgang allemal. Für die Stadtverwaltung.

Von Hardy Prothmann

Um es gleich vorwegzunehmen: Es gibt keine gesetzliche Regelung einzuhaltender Fristen zu Parteiveranstaltungen im Vorfeld von Wahlen. Es gibt sehr wohl eine Neutralitätspflicht staatlicher Organe. Das ist das Spannungsfeld, zu dem Rechtssprechungen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgericht vorliegen, die aber Einzelfallbezogen sind. Daraus lassen sich aber gewisse Prinzipen ableiten. Ein wichtiger Grundsatz ist:

Das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit wird verletzt, wenn Staatsorgane als solche parteiergreifend zugunsten oder zu Lasten einer politischen Partei oder von Wahlbewerbern in den Wahlkampf einwirken.

Das kann nun – einzelfallbezogen – alles Mögliche bedeuten. Um einem dem Vorwurf der Begünstigung oder Benachteiligung zu entgehen, ist es üblich geworden, gewisse Fristen zu wahren. Es gibt immer wieder Debatten, welche Fristen „juristisch“ einwandfrei sind, als sechs oder drei Monate oder wie aktuell in Weinheim ins Spiel gebracht, sechs Wochen. Als ausreichend sicher wird die Drei-Monats-Frist betrachtet. Konkret bedeutet das: Ab drei Monate vor dem Wahltag sollen staatliche Behörden und Mitarbeiter eine „äußerste Zurückhaltung“ im Umgang mit politischen Parteien an den Tag legen. Sprich: Man stellt politischen Parteien keine staatlichen Ressourcen zur Verfügung, Mitarbeiter treten weder privat noch „im Amt“ bei Parteiveranstaltungen auf.

Neutralität „gestalten“

Im Zuge des kommunalen Selbstverwaltungsgrundsatzes können die Gemeinde aber weitgehend selbst bestimmen, wie sie das Neutralitätsgebot „gestalten“. Ein Beispiel: Die Stadt Weinheim könnte es allen Mitarbeitern drei Monate vor einem Wahltermin untersagen, gegenüber einzelnen politischen Vertretern Aussagen zu machen oder auf Einladung oder spontan aufzutreten. Außerdem kann untersagt werden, dass Mitteilungsblätter oder andere „staatlich finanzierte“ Informationsträger von politischen Parteien, die das sonst dürfen, genutzt werden. Die Stadt kann aber nicht nur verbieten, sie kann auch gestalten und beispielsweise aktiv informieren, dass Behördenleiter auf Anfrage allen politischen Gruppierungen für einen Termin als „Experte“ zur Verfügung stehen – das wäre wieder im Sinne der Neutralität, denn alle Wahllisten haben grundsätzlich dieselbe Möglichkeit.

Problematisch könnte dann die Zeit und die inhaltliche Tiefe werden. Spricht der staatliche Beschäftigte hier nur eine halbe Stunde, dort drei Stunden? Geht er woanders in die Tiefe und bleibt woanders an der Oberfläche? Die einfachste Methode ist deshalb das Verbot.

Das wirkt sich beispielsweise auch an Schulen aus. Häufig wird politischen Vertretern selbst für einen Regelunterricht, beispielsweise Sozialkunde, ab drei Monate vor einer Wahl ein öffentlicher Auftritt in einer Schulklasse untersagt. Abhilfe würde die Einladung an alle Kandidaten schaffen, die dann zusagen. Ob ein Termin ausfällt, weil der Kandidat nicht erscheint, wäre belanglos – den der Form halber wäre die Neutralität gegeben gewesen.

Einzelfälle ausschließen

Was die Nutzung öffentlicher Räume wie Hallen angeht, kommt es auch immer auf den Einzelfall an – deswegen gilt auch hier, verbieten ist grundsätzlich einfacher als gestalten. Häufig wird eine Mischform gewählt: Man schließt eine ganze Reihe von Liegenschaften und öffentlichen Räumen grundsätzlich aus und regelt einen kleinen Teil. Das betrifft zum Beispiel den Umfang und den Start von Plakatierungen, Zahl und Ort von Infoständen im öffentlichen Raum, also häufig in Fußgängerzonen und anderen Orten, wo viele Menschen anzutreffen sind. Hat man diese Räume definiert und Regeln aufgestellt, stehen sie grundsätzlich allen Bewerbern offen – die Neutralität ist also gewahrt.

Deshalb musste die Stadt Weinheim ihre Kündigung zur Nutzung des Rolf-Engelbrecht-Hauses durch Die Linke auch zurücknehmen – denn wie bereits berichtet, gab es in anderen Liegenschaften bereits Parteiveranstaltungen. Die Linke wäre somit benachteiligt worden und hätte in diesem Einzelfall klagen können – ein Risiko, dass die Stadt nicht eingehen will. Aufsichtsbehörde wäre für die große Kreisstadt das Regierungspräsidium Karlsruhe, das im Einzelfall prüft – eine Anfrage liegt aber weder von der Stadt, noch von anderen vor.

Insgesamt kann man die Ursache für den aktuellen Kuddelmuddel an einer Nachlässigkeit der Verwaltung festmachen – die hat versäumt, klare Regeln aufzustellen und transparent zu kommunizieren. Man kann das durch Gemeinderatsbeschluss in die Hauptsatzung beispielsweise aufnehmen. Eine ausreichende Dreimonatsfrist, ein Verbot für die meisten öffentlichen Einrichtungen und eine Positivliste für Versammlungsorte, die genutzt werden können. Auch hier lauert eine Falle. Listet man beispielsweise Räumlichkeiten auf, die sich kleine Parteien nicht leisten können, könnte es Probleme geben. Abhilfe schafft die Festsetzung einer Raummiete, die es allen Parteien erlaubt, Räumlichkeiten zu nutzen, sofern diese daran interessiert sind.

Einfache Lösung

In Weinheim wären das die Stadthalle, das Rolf-Engelbrecht-Haus sowie das alte Rathaus. Stellt man diese allen Parteien auf Anfrage zu gleichen, vertretbaren Konditionen zur Verfügung, wird keine bevorzugt und keine benachteiligt.

Eine kleine Kritik muss sich Die Linke, respektive Stadtrat Labudda, gefallen lassen. Auf Anfrage teilte das Landratsamts heute mit, dass „die Fraktionsvorsitzenden des Kreistags mit Schreiben vom 06.05.2013 über die Neutralitätspflicht informiert worden sind; ebenso nochmals am 31.01.2014″. Herr Labudda hätte sich also denken können, dass es vielleicht Probleme wegen des Termins geben könnte – hier hätte er von sich aus nachfragen können. Das gilt aber nur für die Fraktionen, die Vertreter im Kreis haben.

Doch die Kritik ist nicht wirklich statthaft. Denn Weinheim Plus oder neue Listen wie die Weinheimer Liste haben keine Kreistags-Mitglieder und können folglich nichts über diese wichtige Neutralitätspflicht wissen. Hier ist wieder die Gemeindeverwaltung in der Pflicht, ordentlich und nachvollziehbar Regeln festzusetzen und diese zu kommunizieren. Der neu gewählte Gemeinderat könnte sich dieser Aufgabe widmen. Immerhin haben Weinheimer Liste, Weinheim Plus und die CDU schon Solidaritätsbekunden in der Sache für Die Linke abgegeben – nicht gerade ein alltägliches Verhalten (von FDP, Freien Wählern, GAL (die in Sachen Breitwiesen auch Neutralität angemahnt hatten) und SPD ist uns nichts bekannt).

Und übrigens: Die Mitteilung der Stadt an Die Linke per email im Zuge der Zurücknahme der Kündigung heute Vormittag, es habe einen „überholten Beschluss“ des Ältestenrats gegeben, der nicht mehr gültig sei, was dem Amt für Immobilienwirtschaft noch dem Wahlamt bekannt gewesen sei, ist natürlich kompletter Blödsinn, denn der Ältestenrat kann überhaupt keine Beschlüsse fassen.

Eigentlich ganz einfach – aber was ist schon einfach in Weinheim?

Dokumentation:

Anfrage der FDP im Februar 2014 an den Landtag zur Neutralitätspflicht

Entscheidung Bundesverfassungsgericht 1976